Thema: Fanszene
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Alt 19.10.2015, 14:58
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Michi Müller Michi Müller ist offline
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Zitat von basebumper Beitrag anzeigen
Der funktioniert nicht!
ich kopiere einfach mal den Text hier rein:

Münster – Im Preußenstadion glühte die Nacht und am Tag danach, seit zumindest der Rauch verzogen ist, sind nur noch traurige Reste übrig. In der Ostkurve des Preußenstadions ist die Lage eskaliert und die ersten Reaktionen deuten eher nicht darauf hin, dass sich das schnell beruhigen wird.
Zunächst muss klar sein: Die Sache ist nicht zu verteidigen. Damit würde der größte Fehler begangen werden - indem man versuchte, die Pyro-Aktion vom Freitagabend zu rechtfertigen oder gar zu entschuldigen.
Und hier liegt eben der Hase im Pfeffer: Die Sache soll ja gar nicht verteidigt werden. Glaubt irgendjemand, die Kurve habe da gegen Rostock einfach nur "ein bisschen überzogen"? Natürlich nicht. Das war kein Versehen, kein Leichtsinn oder der Wahn völlig Verblendeter. Das war ein Signal. Eine Aussage. Mann kann diese Aussage nun bewerten, wie man mag - aber es ändert nichts an daran, dass es um mehr geht als nur um Rauch und Feuer.
Damit ist vom Tisch, was manch oberflächlicher Beobachter gerne im Reflex von sich gibt. Dass die in der Kurve entweder "geistig beschränkt" seien oder "unbelehrbar" oder was man seit Freitagabend sonst so liest oder hört.
Das Gegenteil ist der Fall. Was da in der Kurve passiert, war wohl überlegt, geschah im vollen Bewusstsein der Konsequenzen und im Wissen darum, dass man sich damit wohl völlig isolieren wird und den letzten (?) Rückhalt auch bei neutralen Fans verlieren dürfte. Die ersten Reaktionen aus dem Verein sind klar. Null Verständnis. Der Kommentar in den Westfälischen Nachrichten: "Ein Teil von Münsters Anhang ist einfach nur peinlich." Rumms. Da geht nichts mehr.

Ab jetzt allein unterwegs
Wenn man der Kurve jetzt noch etwas mit auf den Weg geben will, dann wohl den Seufzer, dass sie jetzt auf sich selbst gestellt sein wird. Nicht zum ersten Mal, aber laut wie selten, hat ein Teil des Publikums mitgeteilt, was sie von der Aktion hält ("Ultras raus"). Verständnis wird die Kurve nicht mehr ernten - und genau deshalb ist es wichtig, sich das Thema trotzdem noch einmal genauer anzuschauen.
Das möchte man gerade auch jenen empfehlen, für die Fußball nur alle zwei Wochen im Preußenstadion stattfindet und die außer ein bisschen Bier, Quatschen und einer Bratwurst keinerlei Erwartungen an den Fußball haben. Dass gerade diese Zuschauer ihre Köpfe zum Denken nutzen mögen - das wäre wirklich ein Wunsch.
Was da am Freitagabend geschehen ist und was die Fiffi-Gerritzen-Kurve ebenso unnachahmlich schlicht wie geschmacklos formulierte, ist nämlich pure Verzweiflung. "****t euch alle!" Das klingt nicht schön, das ist nicht nett. Und es sieht auch nicht gut aus. Aber so das ist eben gemeint.
Pure Hilflosigkeit
Das ist Hilflosigkeit, pure Wut angesichts dessen, was sich in letzter Zeit angesammelt hatte. Gäste-Ausschlüsse beim Derby, doppelte Meldeauflagen, Polizei am Arbeitsplatz, Hundertschaften schwer bewaffneter Bundespolizisten, dazu so zweifelhafte Maßnahmen wie ein Alkoholverbot - drinnen im Business-Bereich fließt das Bier in Strömen, während ein paar Meter weiter die Zuschauer mit Mineralwasser bedient werden. Maßnahmen, die der Verein dann einfach gerne kommentarlos durchgesetzt hätte und lieber "nicht an die große Glocke" hängen wollte. Das ist halt auch das Gegenteil von transparent und offen.
Dazu kommen Probleme im Binnenverhältnis, die natürlich da draußen auf der Tribüne niemand kennt. Kommunikationsprobleme sogar zwischen Fanprojekt und Verein. Sogar diese Beziehung steht auf wackeligen Beinen, weil derzeit nichts richtig läuft - zumindest in den Augen der aktiven Fanszene. Der Verein empfindet das anders, das ist ein Teil des Problems. Wer jetzt Recht hat, spielt gar keine Rolle, denn zu sehen sind nur die Folgen. Und da scheint es möglich, dass auch dieser Kanal zwischen Klub und Fanszene große Risse bekommt. All das spielt in den Protest vom Freitagabend hinein.
Und man vertue sich nicht: Das Problem ist ja nicht nur in oder für Münster relevant. Es gibt eine immer weitreichendere Kriminalisierung des Sports insgesamt. Der Freitag war doch auch der Tag, an dem bekannt wurde, was für ein teilweise korruptes System sich hinter den vermeintlichen Gutbürgern des DFB versteckt. Und das nur kurze Zeit nach den ganzen schmierigen Geschichten und Ermittlungen rund um die FIFA. Das ganze System Fußball wirkt dieser Tage selbst eher verrottet - da kann "Die Mannschaft" noch so schön plakativ gegen Rassismus sein und alte Fußbälle im Deutschen Fußballmuseum in Dortmund feiern.
Der Sport, der da zelebriert wird, hat nur noch am Rande zu tun mit dem, was heute im Fußball passiert.
Unter die Oberfläche schauen
Das alles hat mit der Pyro-Aktion im Preußenstadion nichts zu tun?
Natürlich hat es das!
Und ja, die Ultras nerven vielleicht viele mit ihrem Getue und ihrer Selbsteinschätzung. Vielleicht nehmen sie sich manchmal zu wichtig und glauben als einzige kompetent entscheiden zu können, was richtig ist und was falsch. Das mag ja alles sein und man kann darüber trefflich streiten. Aber die Ultras machen sich wenigstens Gedanken um den Sport und benehmen sich nicht wie Lemminge, die einfach hinterhertrotten. Sie schauen unter die Oberfläche, wofür "normale" Zuschauer keinen Blick haben.
Für Fans, die vom Fußball etwas mehr erwarten als nur 90 Minuten Unterhaltung, ist die gesamte Entwicklung eben schlimm. Die einen finden das alles unwichtig, übertrieben und albern. Die anderen nicht.
"****t euch alle!" ist dieser Hilfeschrei. Gegen diese "Aggressionsspirale", die viele Beteiligte hat. Natürlich war die ganze Aktion Mist. Das wissen doch alle. Entgegen landläufiger Meinung stehen in der Kurve eben nicht nur geistige Tiefflieger. Sie wussten, dass sie mit der Aktion sich selbst schaden. Dem Verein schaden.
Aber was soll man denn tun, wenn man sieht, wie ringsherum alles in eine Richtung läuft, an deren Ziel sterile Familienblöcke mit Papierfähnchen warten? Fröhlich durchexerzierte, kritiklose und harmlose Auftrags-Fans. Red-Bull-Salzburg-Fußball. Offizieller Fanclub der "Die Mannschaft". Na viel Spaß damit.
Was passiert, wenn Fankurven verschwinden oder verstummen, konnte man in jüngster Zeit schon erleben. Das "Derby" in Osnabrück war ein Vorgeschmack. Tristesse pur. Und man vertue sich nicht: Vieles im Fußball steuert genau darauf zu!
Machen wir noch 'nen Gesprächskreis
Welches Mittel haben Fanszenen also, um ihrem Protest Ausdruck zu verleihen? Gesprächskreise, die nur auf dem Papier existieren und von niemandem ernstgenommen werden? Öffentlich geführte Diskussionen, die nur zahnloser Protest sind? Haben nicht gerade erst viele Fan-Initiativen solche Sinnlos-Gespräche mit dem DFB abgebrochen? Das ist doch genau diese Art von offensichtlichem Desinteresse, die am Ende in der Fanszene zu der bitteren Erkenntnis führt: Was immer "die" mit dem Fußball vorhaben - das ist dann nicht mehr "unser" Fußball.
Man muss ja diesen etwas wilderen Fußball nicht wollen. Man kann ja auch zufrieden sein, wenn Stehplatz-Tickets dereinst für 50 Euro zu haben sind oder es gar keine Stehplätze mehr gibt. Man kann es ja toll finden, wenn die dummen UItras endlich weg sind. Wenn in den Stadien wie beim Volleyball höflich applaudiert wird, wenn der Gegner einen tollen Punkt macht. So ein Wellness-Gefühl im Stadion. Man kann das alles toll finden und das ist in Ordnung.
Mehr als Zirkus
Aber man muss verdammtnochmal zur Kenntnis nehmen, dass Fußball für einige Fans mehr ist als dieser oberflächliche Zirkus.
Wenn man selbst Ultras dumm und asozial findet, dann ist das genaue Gegenteil eben auch legitim. Dann ist der Protest, den Ultras üben, das andere Extrem. Dann muss man akzeptieren, dass dieser Protest auf die vielleicht einzige Weise geäußert wird, die bleibt. So wie die Kurve im Preußenstadion akzeptiert, dass sie jetzt damit ganz alleine steht und die anstehenden Konsequenzen ebenso zu akzeptieren hat. Ja, die Aktion vom Freitagabend schadet dem Verein, sie schadet auch vielen unbeteiligten Fußballfans in der Kurve, die mit dem Protest gar nichts zu tun haben. Das ist ärgerlich, das ist bitter. Da gibt es nichts zu erklären oder zu beschönigen.
Und es wäre ein Zeichen, wenn die Kurve zu ihrer eigenen Verantwortung stünde und wenigstens einen Teil der nun drohenden finanziellen Strafen selbst aufbrächte. Andernorts geht das auch.
Aber wie gesagt: Das alles ist im Grunde nicht mehr zu verteidigen. Man kann nur hoffen, dass mancher, der jetzt erst einmal wild auf die Ultras eindrischt, den Kopf einschaltet und versucht, zumindest die zugrundeliegenden Probleme und Ursachen zu verstehen.
Und dann kann man den Beteiligten nur alles Gute wünschen und hoffen, dass jetzt nicht alles einfach kaputtgeht.

Eine andere Sicht auf die Dinge
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